Kapitel 1

Anders

Gewohnter Maßen bemerke ich das Schlagen meines Herzens. Es stört mich nicht, aber ich bekomme es mit. Es schlägt ruhig gegen meine Brust. Hebt sich auf und nieder. Ich nehme es deutlich wahr, auch, wenn die Situation es eigentlich dazu verleiten sollte viel schneller zu schlagen, jedenfalls wenn ich Jenny Glauben schenken kann. Sie sagt sie wäre bei solch einer Situation viel aufgeregter, ihr Herz würde schnell schlagen und ihr verdeutlichen, dass sie Nervös wäre. Aber ich kenne das Gefühl nicht. Das Gefühl der Nervosität.

„Und nun kommt Sheela, besser bekannt als: Die Unsichtbare Frau. Sie kann sich von einem zum anderen Ort befördern. Und das ohne jegliche Hilfe und Tricks.", kündigt mich nun mein Vorgesetzter, Arno, an.

So etwas sollte mich, laut Jenny, ebenfalls nervös machen. Tut es nicht. Ich trete wiederum nur lächelnd hervor, auf die Bühne, und bedanke mich für das Geschrei und das Geklatsche der Zuschauer. Diese sitzen auf Stühlen vor der Bühne, die für den heutigen Tag aufgebaut wurde.

„Sheela kommt jetzt hinter diesen Vorhang und wenn ich dann mit den Fingern schnippe wird sie nicht mehr hinter dem Vorhang stehen, sondern da drüben!", sagt Arno und deutet auf die gewünschte Stelle, die ich mir gut merke. Er lässt mich danach hinter dem Vorhang verschwinden und während er mit dem Publikum redet konzentriere ich mich auf mein Ziel, dabei schließe ich meine Augen. Arno schnippt einmal mit den Fingern, an der Stelle wo ich auftauchen soll gibt es einen Knall und Rauch steigt auf. Als dieser wieder weg ist stehe ich nun dort. Die Augen wieder geöffnet und ein Lächeln aufgesetzt. Arno kündigt einen weiteren Versuch an, nur das ich dann auf einer anderen Stelle auftauchen werde - und so passiert es.


Nachdem wir fertig sind erklärt Arno dem Publikum, dass dies mein letzter Auftritt war. Das Publikum ist darüber sehr enttäuscht, was mich nicht sehr wundert.

Hinter der Bühne will ich gerade in meine Kabine, als Arno und Jenny mir folgen. „Sheela, willst du es dir nicht noch mal überlegen?", fragt Arno mich dann. „Du hast doch eben gesehen und gehört, dass die Leute dich mögen!"

„Arno, dass ist es nicht. Ich kann das einfach nur nicht mehr. Mein Können wird dadurch nur ausgenutzt und das möchte ich nicht zu lassen!", meine ich darauf, schminke mich ab und wasche mir dann mein Gesicht. Enttäuscht schaut Arno mich an, auf Jennys Gesicht kann ich lesen, dass sie mich versteht. „Jenny, bist du dann heute Abend am Flughafen? Unser Flieger geht um 18:00 Uhr. Wir müssen dann in einem Hotel übernachten und 2 Nächte danach geht unsere Schiff um 12:00 Uhr mittags.", meine ich dann und packe noch meine wichtigsten Sachen. „Du kommst doch mit oder?", frage ich dann vorsichtig nach. „Klar doch!", stimmt Jenny mir dann lächelnd zu. Ich gehe an den beiden vorbei und gehe aus meiner Kabine. Die zwei stehen immer noch dort, Arno sichtlich enttäuscht und Jenny weiß nicht wie sie sich fühlen soll.

Warum ich weiß, wie sie sich fühlen? Auch das gehört zu einer meiner Gaben, wenn es auch die eher weniger ausgeprägte von ihnen ist.


Ich gehe nach Hause und setzte mich erst einmal auf das Sofa im Wohnzimmer um etwas nach zu denken. Ich hoffe, es war die Richtige Entscheidung zu gehen. England ist zwar schön aber mir zu hektisch. Ich weiß eh nicht was ich wirklich bin, ich beherrsche alle Sprachen Problemlos ob Englisch, Deutsch, Italienisch, Französisch, Russisch, Latein ja sogar Hindi und Tamilisch. Ist aber kein Wunder bei meinen Aufgaben. Ich weiß auch nicht warum ich nicht alleine fliege. Jenny ist zwar nur eine Freundin von mir, nicht mal eine gute, denn ich spüre immer wieder Eifersucht von ihr aus. Aber warum ist sie eifersüchtig auf mich, dazu hat sie eigentlich keinen Grund!?

Ich sehe auf die Uhr und schrecke leicht auf, da hab ich wohl viel länger als gedacht hier gesessen und meine Gedanken kreisen lassen. Jetzt muss ich mich aber fertig machen sonst komm ich noch zu spät.



Am Flughafen angekommen sehe ich schon Jenny die ungeduldig auf mich wartet. „Hey Jenny. Entschuldige, die Zeit rast mir immer davon.", beginne ich mit einem Lächeln. „Ist schon gut, komm las uns gehen sonst kommen wir noch zu spät!", meint sie ziemlich in Eile und packt nach ihren Koffern. „Moment, Moment. Nicht so schnell, Jenny. Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit, bis die uns überhaupt in den Flieger lassen.", meine ich, doch merke wie Jenny mir wohl gar nicht mehr zu hört. Diese ist damit beschäftigt gerade nach jemandem zu suchen, zu mindestens hat es den Anschein danach. „Ich verstehe! Dir ist, mal wieder, ein wahnsinnig süßer Typ über den Weg gelaufen und du willst wissen ob er mit dem selben Flieger wie wir fliegt! Hab ich recht?", will ich eine Bestätigung. „Er ist um Meilen süßer als alle anderen davor. Und ja, genau das will ich jetzt wissen.", meint sie dann. „Das sagst du immer! Du wirst es doch erfahren, wenn du ihn im Flieger siehst!", entgegne ich nur. „Du, Sheela, kannst du nicht heraus finden ob er mit uns fliegt?", fragt sie nun, schaut mich mit großen Augen an und zieht einen Schmollmund.


„Na schön...", stöhne ich ergeben auf. „...Allerdings müsste ich dafür wissen welchen ach so süßen Typen du denn meinst!", beende ich dann meinen angeschnittenen Satz. „Ja, Moment. Ich suche ihn ja schon... Sheela, ich hab ihn! Da vorne, sag ist er nicht süß!?", meint Jenny und ist leicht hysterisch geworden. Ich schaue nun zu dem Typen den sie meint, sehe allerdings nur seinen Rücken und seine schwarzen Haare. „Dafür müsste ich ihn schon von vorne sehen. Aber ich kann dir sagen, dass er mit dem selben Flieger fliegt und das selbe Ziel hat wie wir! Und nun auf, wir müssen unsere Tickets abgeben. Ich glaube die lassen jetzt schon alle rein!", meine ich nur. Dann schiebe ich Jenny regelrecht an den Schultern vor mich her, da sie immer noch diesen Typen anstarrt. Ich schüttle nur verzweifelt mit dem Kopf. Warum sie jedem Mann hinter her rennt. Wenn das jede Frau machen würde. Oh Gott, wäre hier etwas los. Verzeihung, ich wollte Gott damit nicht einbeziehen. Aber hört mal, warum bitte sollten wir alle Frauen ihnen hinter her rennen? Sollen sie doch mal sehen, was sie an uns haben, oder? Aber was rede ich davon? Ich, die bis her nicht einmal richtig verliebt gewesen ist. Die keine Ahnung hat ob sie so etwas kann, oder ob das was sie fühlt irgendeine Bedeutung hat.


Jenny und ich setzten uns in unsere Sitze und machen es uns etwas bequem, schließlich wird dieser Flug kein Spaziergang. Ich lehne mich zurück und schließe die Augen, doch zum Ausruhen komme ich nicht, denn prompt werde ich am Arm ergriffen und Jenny schreit mir schon fast hysterisch ins Ohr. „Oh mein Gott, Jenny. Er sitzt auch in unserem Abteil.", meint sie quietschend. Ich verdrehe die Augen und sehe dann zu ihr. „Von wem sprichst du?", frage ich dann. „Na, von dem süßen Kerl von vorhin. Ach, sieht er toll aus! Und er sitzt uns eine Reihe direkt schräg gegenüber.", meint sie dann wieder. Ich hebe den Kopf etwas nach vorne um nun nach diesem Typen Ausschau zu halten. Doch das Einzige was ich sehe ist der Rücken einer Stewardess die ihn wohl gerade bedient, zumindest scheint es von Jennys Blick her er zu sein. Kopfschüttelnd lehne ich mich wieder zurück und schließe erneut die Augen.


Das gibt mir die Gelegenheit etwas über mich zu erzählen. Auch wenn es euch nicht groß interessiert. Den ein oder anderen vielleicht schon. Aber dafür, dass ihr mir hier weiter zu hört, müsst ihr doch wenigstens etwas aufgeklärt werden. Finde ich jedenfalls...

Okay, das ich Sheela heiße könnt ihr euch nun ja fast schon denken. Und nein, glaubt nicht, dass ich weiß wie Gott aussieht. Ich weiß nur noch, dass ich mit 18 Jahren von ihm auf die Erde gebracht wurde. Ich weiß noch heute seine Worte die er damals zu mir sprach. „Sheela. Mein Engel. Ich weiß es. Du kannst Wunder vollbringen. Nicht nur hier, bei mir. Nein, sicher auch dort wo dich viel mehr Menschen brauchen. Ich kann mich nicht um alle kümmern. Und ich möchte, dass du mir eine Stütze bist. Deine guten Ratschläge kannst du nun selber in die Tat umsetzen. Du hattest schon immer die Besten. Genieße dein Leben auf der Erde. Und du schaffst das. Denn, meine Sheela, wenn du das nicht schaffst. Wer soll es sonst schaffen? Mein Engel. Ich wünsche dir viel Erfolg. Und denk hin und wieder Mal an mich. Ich gebe dir noch etwas mit. Du wirst es schon bemerken, wenn es soweit ist. Meine kleine Sheela. Breite die Flügel aus und flieg..."

Ihr fragt euch nun sicher warum ich mich noch sooo genau an seine Worte erinnere. Ich vergesse nie etwas. Nein, Worte sind etwas was mir sehr gut im Gedächtnis bleibt. Ebenso Stimmen. Ich könnte jede Person allein von ihrer Stimme her erkennen. Aber ich hab gehört, dass einige Sterbliche das auch können. Das finde ich sehr schön. Dann bin ich doch nicht so ganz anders, wie ich immer denke.


Inzwischen bin ich keine 18 mehr. Nein, ich bin schon eins, zwei... zehn, elf Jahre älter. Ja, ich bin inzwischen 29. Aber auch nicht sehr lange. Der Tag an dem ich auf die Erde kam, mit 18 wohl bemerkt, war der 15.08. Warum ich das weiß? Dieses Datum wurde mir schließlich in meine Urkunde und in meinen Pass geschrieben. Ich wurde von einem jungen Mädchen, das auch 18 war, auf der Straße aufgelesen. Sie hatte alles mit angesehen. Ein Auto fuhr mit voller Geschwindigkeit gegen eine Laterne, die auf einem Bürgersteig stand. Es gab einen lauten Knall, die Funken sprühten. Für Gott war dies wohl eine besondere Einladung, mich an diesen Ort zu bringen. England. Wohl eher London. Ich war für alle in London, die an diesem Tag in der Nähe waren, das Opfer des Fahrers, der bei seiner rasanten Fahrt starb. Er war betrunken. Betrunken Autofahren schadet jedem. Das hätte ich ihm zu gerne gesagt. Doch da war es schließlich schon zu spät. Das Mädchen, das mir half, stellte sich als Jennifer Bennet vor. Genau, die Jennifer die ihr jetzt als Jenny kennt. Sie hat sich seit dem um mich gekümmert. Ich sage nicht, dass sie nicht nett ist. Im Gegenteil. Das war sie zu dieser Zeit schon. Aber sie hat sich im Laufe der Jahre doch ziemlich geändert. Was die Schule/das College (oder wie man das auch immer dort genannt hat) mit ihr gemacht hat. Sie war es die mit mir zur Polizei ging, alles ausstellen ließ, die mir sogar einen Namen suchen wollte, weil ich zuerst so wenig sprach auf der Wache. Doch meinen richtigen Namen konnte ich noch sagen. Jedenfalls bin ich felsenfest der Meinung das Sheela Khan mein Name ist.


Nach dem ich mit Jenny die letzten Jahre Schule und Ausbildung, bis ich 22 war, gemacht hab war ich bei Arno. Bis heute eben. Bis ich nicht mehr konnte. Bis ich merkte, dass mir das nicht gefiel, dass mit mir gespielt wurde. Arno ist übrigens Jennys Vater. Am Anfang, eh ich mir mit 23 eine Wohnung gesucht hab, hat mich die Familie Bennet aufgenommen. Sie wollten alles wissen. Doch ich konnte ihnen nichts sagen. Nach der Aufnahme in der Polizei sollte ich ins Krankenhaus. Und da ich mich an nichts erinnern konnte war der einzige Befund: Amnesie. Dieser stimmte nicht und das wussten auch die Ärzte. Aber sie mussten der Familie Bennet ja irgendetwas auftischen. Und ich hatte schon an dem Tag die Erkenntnis errungen, dass die Familie Bennet sehr leichtgläubig war. Jetzt mit 29 kann ich endlich dem Ort und den Menschen entfliehen bei denen ich mich nie zu Hause fühlte. Das soll alles nicht gemein klingen. Aber ich bin aus auf etwas Neues. Daher ja auch jetzt dieser Flug.

Ihr wollt wissen, was vor meinem 18. Lebensjahr war? Ich auch! Für mich ist das alles verschwommen. Es ist so, als ob es meine Bestimmung sein sollte, dass ich erst dann auf der Erde sein sollte. Mit meiner Gabe, die ich mit 18 einhalb Jahren bewusst wahrnahm. Die Familie Bennet fand dies wundervoll und es passte so gut in ihr Programm. Ein Mädchen die wahrhaftig von einem Ort zum anderem kommen konnte, ohne zu laufen. Das war Neu. Das kann nicht jeder. Nein, das kann niemand. So erzählte es mir Arno. Ich gehe inzwischen auch wirklich davon aus, dass meine 18 Jahre vor dem Leben in London ein Leben an der Seite von Gott war. Und daran werde ich auch weiter glauben. So lange bis mir das Leben etwas anderes beweisen kann...


Während ich euch so von mir erzähle komme ich schlecht zum Schlafen. Aber das hat nicht euch als Grund. Und auch nicht Jenny die mich wach hält, es ist jemand anderes. Ja, jemand. Ich spüre es. Mich sieht irgendjemand an und es muss auf alle Fälle von der anderen Hälfte des Flugzeuges kommen. Der Blick lag auf meinem Gesicht. Nein, er liegt immer noch darauf. Ich schlage die Augen auf und starre in dunkel braune. Nein, keine Sorge, sie sind nicht direkt vor mir, so starker-mäßig oder so. Sie sind weit entfernt, aber ich sehe sie dennoch direkt, weil sie direkt in meinen liegen. Sie gehören einem Mann. Einem sehr großem Mann. Er sitzt auf dem Platz auf der anderen Seite - wie ich schon sagte - eine Reihe weiter hinten. Er sitzt in unsere Richtung. Und plötzlich spüre ich das Wippen neben mir, das Jenny gerade macht. Was heißt gerade? Ich glaube, dass sie es nur gerade getan hat, aber sie sitzt schon die ganze Zeit so. Ja, keine Sorge wir befinden uns schon oberhalb des Erdbodens - also im Himmel. Wobei ich eine andere Definition von Himmel habe, was aber jetzt nicht hier her gehört. Als Jenny bemerkt, dass ich die Augen geöffnet habe sieht sie zu mir und dann wieder zu der Person, die gerade hierher starrt. Nein - sorry, das ich mich ständig korrigiere aber das muss sein - denn er starrt nicht hier her. Er starrt definitiv mich an. Nicht, das ich das will oder so. Ich sage nur: Meine Gabe. Oder einfach das Können, das richtig zu beurteilen - mit dem bloßen Auge.


„Sheela kannst du ihn jetzt sehen? Er sieht doch echt gut aus, oder? Ein Prachtexemplar eines Mannes.", schwärmt sie vor sich hin, während ich versuche mich nur auf die erste Frage zu konzentrieren. Ich will mich auf den Rest nicht konzentrieren, weil ich keine Ahnung hab ob Jenny ihn jetzt nur als einen von vielen, oder als 'den Wahren' ansieht. Aber bei Jenny weiß man auch noch nicht, wenn sie meint er sei 'der Wahre'. Ja, wie gesagt, Jenny ist nett und lieb und ach, was nicht noch alles. Aber sie ist Eigen. „Ich glaube schon, Jenny, wenn es der große Mann, mit den blauen Jeans, dem weißem Hemd, den dunklen Haaren und..." Weiter komm ich nicht, da unterbricht sie mich schon. „Jaaa, genau den mein ich. Er ist doch echt sexy, oder?" Ich nicke nur. „Und das tollste ist er sieht mich an, er sieht mich schon die ganze Zeit Pausenlos an, das ihm das nicht peinlich ist. Er sieht so toll aus. Und siehst du seine Haut? Sie ist sooo... hach, braun." Ich sehe Jenny von der Seite her an. Hat sie das jetzt echt gesagt? Okay, ich gebe zu, seine dunkle Haut macht ihn schon sehr attraktiv, aber um Gotteswillen, es ist doch nicht etwas um einen schmachten zu lassen. Oder um so eine Aussage zu machen. So eine, wenn man es überspitzt betrachtet, gerade zu rassistische Aussage. Oder?


Okay, ich reagiere jetzt besser auch hier nicht auf das Erste was sie gesagt hat. Wenn sie meint, er sieht sie an, dann bitte. Ich wende den Blick noch mal zu diesem ach so tollen Mann. Wobei ich mir selber gestehen muss, dass er wirklich wahnsinnig gut aussieht. Aber ich weiß auch, wenn sich Jenny verliebt oder in einen Mann verguckt, dann kann man sich sicher sein, dass er verheiratet, verlobt, vergeben, geschieden und arbeitslos oder aber einfach nur stinkreich und nicht iteressiert ist. Irgendwas in diese Richtung jedenfalls war es bis her immer. Warum also sollte es jetzt anders sein? Ich weiß es ausnahmsweise nicht. Und vor allem weiß ich es auch nicht, ob jemand verlobt, geschieden oder so ist. Ich kann vieles, ja, aber das kann ich nicht. Ich glaub darüber bin ich sehr froh. Nachdem ich wieder aus dem Fenster sehe und versuche zu schlafen schaffe ich das erst als ich merke, dass der Kerl mich nicht mehr ansieht. Vorsichtig drehe ich den Kopf nach vorne, sehe, dass er sich seine Sonnenbrille aufgesetzt hat und nun aus dem Fenster sieht. Ich lächle, schließe die Augen und kurz darauf bin ich eingeschlafen.



DEUTSCHLAND

Sheela... Wo warst du nur so lange ich hab auf dich gewartet." Ein Schluchzen überkommt das kleine Mädchen. Ich lächel schwach. „Keine Sorge, meine Kleine, was ist denn passiert!?", frage ich sie ruhig und setze mich auf ihr Bett. Sie ist 8 Jahre alt und unter anderem eine Person die ich dann besuchen gehe, wenn ich schlafe. Es ist nicht meine Welt. In ihrer Sicht bin ich für vor allem die Eltern nicht da. Ich bin ihre Freundin. Sie ist zwar aus dem Alter des unsichtbaren Spielfreundes heraus. Aber sie liebt mich. Sie liebt mich aus dem Grund, weil ihr Vater seine neue Freundin bevorzugt. Was seine Freundin mit dem Mädchen macht. Und ich sage ungern Schimpfwörter, aber diese Frau ist wirklich ein Drachen, eine Hexe. Ich höre auf, das war vielleicht harmlos, aber wenn man bedenkt das diese Wesen alles andere als gute Wesen sind, weiß man wie kleine Kinder vor ihnen angst haben, wenn man ihnen Märchen erzählt.


Beruhigend streiche ich Chiara, so heißt die Kleine, über die Hand. Sie kann die Berührung nicht fühlen oder spüren, aber sie weiß und sieht, dass ich sie mache. Ich bin real, das weiß die kleine nicht, aber sie glaubt fest daran. Erwachsene können mich nicht sehen, jedenfalls nicht dann wenn ich für Kinder da bin. Ich bin aber nicht nur für Kinder da. Wenn ich schlafe, bin ich für viele da. Ich hab viele Schützlinge, wie man sie oben (in dem Reich von Gott) so nennt. Ich bin Muse, ich bin Weggefährte, ich bringe Menschen über den Tot hinweg, bringe sie zu Gott, verteile neue Menschen auf der Erde aus, muss Charakter entscheiden, muss helfen und muss lehren. Menschen die mich sehen können, sehen mich nur, weil ihre Fantasie es will, weil sie dazu fähig sind zu sehen, was andere nicht sehen wollen oder für verrückt erklären. Und vor allem dieses kleine Kind sieht mich. Sieht mich so wie ich bin. Daher befinden sich alle meine Schützlinge weit von mir entfernt. Wenn sie mich wirklich einmal sehen, was sie eigentlich tun, dann wären sie verwirrt. Dann wäre meine Arbeit hinfällig. So etwas ist mir bis her noch nie widerfahren, aber man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben - wie es so schön gesagt wird.


Zurück zu Chiara. „Tina hat mich wieder geschlagen. Sie hat gesagt, wenn ich so weiter mache, dann schickt sie mich in ein Heim. Wenn ich mein Vater noch weiter nerve, dann hätte er sicher die Schnauze voll und wäre froh, wenn ich weg bin. Aber, Sheela, was soll ich denn tun, ich hab doch außer ihm niemanden mehr." Ich lächle schwach. „Du schaffst das! Das weiß ich. Das sag ich dir als Freundin!" Chiara strahlt wieder über das ganze Gesicht, den Teddy in der Hand, wischt sie sich mit der freien Hand die Tränen weg. „Danke, Sheela, du bist die beste Freundin, die ich habe!"

Ach...", winke ich ab. Plötzlich geht die Tür auf und eine Frau steht ihm Raum. Tina. „Was machst du hier? Redest du wieder mit deiner dummen, unsichtbaren Freundin.", will diese sogleich wissen. „Sheela ist nicht dumm und sie würde mich niemals zwingen in ein Heim zu gehen."

Das sind die letzten Worte die ich wahr nehme eh mich ein Rütteln aus meinem 'Schlaf' holt.



Das Rütteln stellt sich nicht als Jenny, wie erwartet, heraus. Nein, es ist das Flugzeug. Ich sehe hinaus. Es ist stark am Regnen, dunkle Wolken versperren mir die Sicht. Ich hab keine Angst. Aber ich spüre, dass es viele andere um mich herum haben. Auch Jenny. Eine Frau, vielleicht zwei Reihen vor uns, betet flüsternd. Ich höre sie nicht, nein. Ich weiß, dass sie es tut - ich spüre es. Ein älterer Herr, hinter mir ganz am Ende des Flugzeuges versucht seine Frau und sich selber zu beruhigen. Er verflucht es gerade sich die hinteren Plätze ergattert haben zu wollen. Und ich spüre noch eine Regung der Angst. Aber sie gilt mir. Jedenfalls im übertragenem Sinne. Eine Person will nicht, dass das Flugzeug abstürzt. Meinetwegen. Nicht, weil sie will, dass ich lebe, nein weil sie will, dass sie und ich leben. Sie scheint Chancen haben zu wollen. Ich sehe auf, etwas nach rechts. Ja, ihr habt schon richtig vermutet. Es ist der Mann auf der anderen Seite, den, den Jenny so toll findet. Aber er kennt mich doch gar nicht? Oder? Ich versteh das nicht. Ich verstehe seine Angst nicht. Ich verstehe diese verwirrende Angst nicht. Jedenfalls verwirrt sie mich. Ihn sehr wahrscheinlich nicht, denn es ist ja seine Angst. Ich versuch mich zu konzentrieren, schließe kurz die Augen.


Nach Sekunden ertönt eine Durchsage. „Liebe Passagiere, kein Grund zur Panik. Wir sind nur mitten in einem Unwetter gelandet. Der Pilot gibt sein Bestes um uns geschickt davon abzubringen. Haben Sie noch etwas Geduld. Und es gibt keinen Grund sich Gedanken zu machen. Danke und ich wünsche einen, baldig folgenden, ruhigen Weiterflug!" Erleichtert atme ich aus. Nein, keine Sorge das war ich nicht. Es war wirklich nur ein Unwetter. Eine kaputte Maschine reparieren, ohne mich zu bewegen, kann ich dann doch noch nicht. Sorry, so weit in meiner Ausbildung bin ich noch nicht. Das war ein Scherz. Bitte verzeiht mir. Ich weiß, dass ich euch nicht verwirren sollte. Aber, lasst mir doch mal meinen Spaß. Aber das Flugzeug gerettet habe ich nicht und noch sind wir ja nicht aus dem Unwetter raus.

Ich spüre wie sich alle anderen, die eben noch Angst verspürten, wieder beruhigen. Ja, alle. Doch haftet nun erneut der Blick, des unbekannten Mannes auf mir. Kann mir einer sagen, ob ich was im Gesicht kleben habe? Ich mag solche Blicke nicht. Ich verstehe sie nicht. Und wenn ich sie nicht verstehe, dann gefallen sie mir nicht. Wenn ich nicht weiß, wie ich mit ihnen umgehen soll, dann habe ich angst. Und ich hasse es angst zu haben, weil ich Angst sehr ungerne verspüre. Davon ab, dass ich sehr selten - bis zu nie - angst habe. Ja, klingt auch wieder unvorstellbar. Aber was soll ich machen? Beschwert euch deswegen lieber beim lieben Gott.


Jenny ergreift wieder meinen Arm, wie sie es so oft tut. Ich sehe fragend zu ihr, mir nichts anmerken lassen, dass sie etwas nervt oder mich gerade aus meinen Gedanken geholt hat. Und ich schaffe es sehr gut. Ich versuche zu lächeln. „Kannst du echt nichts machen?", fragt sie vorsichtig und leise. Das Flugzeug rüttelt immer noch etwas, aber nicht mehr so stark wie am Anfang. „Wovon sprichst du?", frage ich Jenny verwirrt. Sie bringt mich etwas durcheinander. Aber das lass ich mir nicht anmerken - wie so wenig in meinem Leben. „Na, ich rede von dem tollen Typen da hinten!", erklärt sie mir dann, als ob ich das nicht vergessen haben dürfte. Aber sagt mir mal, was ich denn hätte machen sollen? Ich kann doch nicht bei jedem Satz von ihr wissen, was sie von mir will, wenn sie es mir nicht gleich erklärt. „Was soll ich denn da groß machen?" Ich verstehe echt nicht, was ich machen kann. Ich bin kein Liebesbote. „Ich will das er mich anspricht, dass er sich mit mir unterhält, dass er sich in mich verliebt, dass wir glücklich werden..." Ich glaub ich sollte sie besser stoppen, eh sie abhebt. „Jenny... Jenny, bitte. Ich kann zwar von einem zum anderem Ort schweben, aber ich bin nicht Amor. Oder siehst du etwa Pfeile und einen Bogen die ich mit mir rum schleppe?" Jenny sieht enttäuscht zu mir. „Ich sag dir mal was...", beginne ich wieder. „Wenn du möchtest, dass er dich anspricht, dann lass es einfach auf dich zu kommen. Entweder kommt er von selber. Oder aber versuch du doch dein Glück. Geh du doch einfach zu ihm."


Jenny hebt die Augenbrauen in die Höhe. „Nein, ich gehe sicher nicht zu ihm. Doch nicht um mich zum Affen zu machen." Das tut sie doch eh schon. Ich schäme mich nicht für meine Gedanken. Sie sind ja auch wahr. Wenn sie hier nicht immer auf und ab wippen würde, dann könnte ich ihr ja vielleicht gerade so abkaufen, dass sie es ernst meint, was sie da sagt. „Kannst du wirklich nichts tun?", will sie ein weiteres Mal wissen. Ich schnaufe auf, erhebe mich dann von meinem Sitz. „Ich muss mal ganz dringend!", erkläre ich dann. Ich gehe an ihr vorbei, schiebe mich an ihren Beinen entlang zum ersten Gang. Diesen gehe ich dann entlang um zu den Toiletten zu kommen. Ich bin froh mal für einige Zeit nicht bei Jenny sein zu müssen. Mich erholen zu können. Ich weiß manchmal gar nicht wie viele Männergeschichten sie schon hatte. Sie ist schon echt schlimm. Ich verstehe das echt nicht. Aber sie will es ja auch so. Und eigentlich kann es mir ja auch egal sein. Ich meine, was hab ich denn mit ihren Geschichten am Hut? Gar nichts. Aber warum lässt mich Gott dann nicht einfach an was anderes denken? An Chiara zum Beispiel. Oder an sonst jemanden meiner Schützlinge. Warum ausgerechnet an Jenny?


Wieder aus der Kabine getreten steht mir plötzlich jemand gegenüber. Um diesen jemand in die Augen sehen zu können muss ich den Kopf leicht in den Nacken legen. „Oh, entschuldigen Sie." Der Angesprochene lächelt kopfschüttelnd. „Keine Ursache. Das war Absicht. Ich wollte Sie hier antreffen." Nun sehe ich ihn fragend an. „Aber warum?", will ich wissen. „Wissen Sie, dass Sie eine wirklich faszinierende Ausstrahlung haben!?" Ich stocke etwas. Was meint er? Besser: Warum sagt er so was? Ich meine, ich verstehe ja nicht mal worauf er hinaus will, was er mir sagen will. Ich hab von meiner Ausstrahlung reichlich wenig mit bekommen. „Was hab ich?" Der Mann mir gegenüber lächelt. Oh, ich vergaß total euch zu sagen, wer der Mann vor mir ist. Es ist der hinter dem Jenny her ist, der, der mich bis eben neugierig angesehen hat. Nur so als Info. Dachte könnte interessant sein, für den ein oder anderen von euch. „Ist schon okay. Vergessen Sie es. Ich sage gerne unpassende Sachen." Ich lache leise auf. „Wenn ich doch nur verstehen würde, was Sie sagen wollten..." Ich sehe bei meinem Satz kurz hinunter, da ich nicht will, dass er ihn hört. Aber er sagt nichts dazu, er hat ihn verstanden da bin ich mir sicher. Aller spätestens dann, als ich wieder hoch sehe und er mich fragend und verwirrt ansieht. „Entschuldigen Sie mich jetzt bitte...", will ich an ihm vorbei. „Warten Sie...", hält er mich auf und schafft es sich erneut vor mir aufzubauen. „Ich bin übrigens Abhishek. Abhishek Mehra..."


Meine Hand führe ich in seine Richtung, direkt zu der seinigen die er mir entgegen gestreckt hat. Ich lächle. „Sheela Khan!" Sein Blick liegt lange auf mir und endlich geht er, ohne das ich etwas sage, zur Seite. Ich danke ihm und gehe zurück auf meinen Platz. Nun gut ich muss mich an der schlafenden Jenny vorbei zwängen. Ich bin komischer Weise froh, dass sie schläft, denn dann kann ich mich in Ruhe setzen, in Ruhe den Flug genießen, in Ruhe weiter schlafen. Aber irgendwie kann ich nicht schlafen. Ein Windsturm haust gerade in meinem Körper. Ich weiß aber nicht warum. Das weiß ich wirklich nicht. Es scheint nichts normal zu sein. Etwas was ich nicht verstehe. Ich sehe auf den, eigentlich, leeren Platz - schräg, eine Reihe weiter hinten, nach rechts. Der Platz ist leer. Aber nicht lange. Nach wenigen Sekunden setzt sich Abhishek wieder auf seinen Platz. Und wie er richtig sitzt sieht er zu mir. Ein Lächeln huscht über seine Lippen. Und automatisch - ohne das ich es will - beginne auch ich zu lächeln. Ich weiß nicht warum, aber ich hab das Gefühl, dass er mir trotz der Entfernung direkt in die Augen sieht. Schließlich wendet er sich ab, setzt sich wieder seine Sonnenbrille auf, die er als wir uns vorhin gegenüber standen natürlich nicht auf hatte. Sein Blick geht wieder hinaus aus dem Fenster und auch ich wende meinen Blick wieder ab. Jenny hab ich nicht geweckt, wie ich mich wieder gesetzt hab, zum Glück. Und somit kann auch ich mich wieder zurück setzen und etwas schlafen.


Doch zum Schlafen komme ich nicht, denn ich werde gestört kurz bevor ich ins Land der träume sinke. Und dieses Mal ist es Jenny. Nur, dass sie etwas unsanft ist. „Sheela... Sheela!" Ich öffne, etwas schlaftrunken, die Augen. Ich scheine geschlafen zu haben. Nicht richtig. So etwas wie ein Halbschlaf. Denn die Zeit hat wohl nicht gereicht, dass ich etwas hätte tun können. Für andere. Ich denke Gott ist mir nicht böse. Er kennt Jenny. Und daher brauch ich ihn sicher nicht um Entschuldigung bitten. „Was ist denn?", frag ich, wie ich wieder richtig wach bin und zu ihr sehe. „Das Essen...", zeigt sie dann zu der Stewardess, die direkt neben uns steh. „Oh, entschuldigen Sie.", beginne ich dann, als ich mich wieder aufsetze. „Ist schon gut, was möchten Sie denn? Normale oder Fleischlose Kost?"

„Oh, wenn möglich bitte die Fleischlose."

„Gerne. Ich wünsche den Damen guten Appetit."

„Danke!", erwidere ich das Lächeln der jungen Frau am Gang. Das Lächeln ist zwar wie man es kennt, wenn man sich die Stewardessen in einem Flugzeug vorstellt, doch ist es auch nicht aufgesetzt. Im Gegenteil. Es ist ehrlich und aufrichtig. Das haben wenige Stewardessen.


„Ohh, ihhhh.", beginnt sich Jenny zu beschweren. Ich versuche nicht darauf zu achten. Im Gegenteil, ich versuche einfach weiter zu essen. „Sheela!" Ich ziehe leise und unbemerkt tief Luft ein, um sie dann wieder aus zustoßen. Dann sehe ich zu Jenny. „Was!?", will ich nun in Erfahrung bringen. Okay, von wollen ist hier keine Rede mehr. Aber ich versuche ruhig zu bleiben. Und ich heiße nicht umsonst Sheela Khan. Wenn nicht ich das schaffen kann, wer dann? Keiner. Ganz genau. „Das Essen ist grauenvoll. Jedenfalls, das normale..."

„Meines schmeckt." Das Schweigen danach sagt doch alles oder? Ich hab wieder hinunter gesehen, spüre aber den Blick von Jenny weiterhin auf mir. Ich spüre fast schon ihren Ausdruck in den Augen und kann die Worte ihrer Gedanken lesen. Sie will meines haben! Wenigstens einmal bei mir probieren. Ich versuch sie nun jedoch zu ignorieren. Ich schaffe es nicht. Ich beneide wirklich alle Menschen die es schaffen, dass sie die Blicke anderer auf sich nicht spüren können. Gott, wie ich gerne einmal wie sie sein würde. Und schon wieder beziehe ich Gott mit ein. Aber warum auch nicht? Im Grunde hab ich ihn jetzt darum gebeten. Und ich bin mir sicher, dass er seine Gründe hat, dass ich so bin wie ich bin. Ich glaube daran. Ich bin froh, dass Jenny keine heißen Strahlen aus den Augen feuern kann, weil dann wäre ich sicher tot. Wirklich, es ist grauenvoll. Sie ist bis her die einzige Person, die ich kenne - und ich kenne nicht sehr viele - die solch einen penetranten und intensiven Blick haben.


„Du willst mein Essen, hab ich recht!?", sehe ich wieder zu ihr, lasse die Plastikgabel in das Essen fallen, sodass sie am Rand anlehnt. Jenny sieht von mir hinunter zum Essen. „Nur einmal probieren, weil das hier kann man echt keinem zumuten!" Ich hebe mein Essen an. „Hier, nimm alles. Ich will es nicht, ich hab kein Hunger mehr!" Als ich das Essen bei ihr abstelle lehne ich mich wieder zurück und sehe aus dem Fenster. „Ich möchte nur pro..." Weiter kommt sie nicht, denn schon liegt etwas von dem Essen in ihrem Mund und zergeht auf ihrer Zunge. Sie schließt die Augen. „Das ist guuuut."

„Ich weiß. Iss es nur!"

„Wirklich?"

„Ja, wirklich. Dann kann ich wenigstens noch etwas schlafen." Jenny fragt nicht weiter, will auch sonst nichts anderes, sondern isst einfach weiter und genießt das Essen eines anderen. Jetzt kenne ich den Sinn des Sprichworts 'Man will immer das, was man nicht kriegen kann.' Jenny ist genau so. Sie will mein Essen, obwohl sie etwas zu Essen hat, was bestimmt nicht viel schlimmer schmeckt. Das ist einfach nur die Einstellung. Ich mag solch eine Einstellung nicht. Aber was kann ich dagegen tun? Einfach drüber weg sehen? Das ist die Lösung. Die Lösung, die ich schon die ganze Zeit befolge. Okay, es will. Aber ich schaff es nicht immer. Weil ich mir einfach zu viele Gedanken über alles mache. Um von Jenny los zu kommen, schließe ich die Augen tue so als ob ich schlafe, was ich aber gar nicht vor hab.


Ich öffne meine Augen und sehe weiße Wolken durch eine Art Brille. Wie ich wieder zu klarem Verstand komme, wird mir bewusst, dass ich mich im Flieger befinde und immer noch neben Jenny sitze. Und diese Brille sich als das Flugfenster an dem ich sitze herausstellt. Dadurch, dass ich nirgendwo anders war kann ich und auch ihr daraus schließen, dass ich nicht richtig geschlafen hab. Eher im 'Erholungsmodus' war. Mein Blick streift an Abhisheks Platz vorbei, dieser sieht ebenfalls zu mir. Wieder lächelt er kurz, aber ich versuche gar nicht darauf zu achten, dass ich ihn gesehen hab. Einfach so zu tun, als musste ich zu ihm sehen. Und das musste ich. Sonst kann ich ja schlecht zu Jenny schauen. „Wir landen bald...", erklärt sie mir dann. Ihre Hand hat sie gespannt und aufgeregt in die Lehnen gekrallt. Keine Sorge, sie hat keine Flugangst. Das wüsste ich. Beim Start war sie sehr locker. Das heißt sie ist schon einmal Geflogen, oder aber sie hat keine Angst vorm Fliegen. Ganz einfach. Bei mir war es der erste Flug. Zwar hatte ich ein komisches Gefühl, als der Flieger zum Starten angesetzt hat und sich dann in die Lüfte bewegt hat. Aber der Rest des Fluges verging relativ schnell. „Bist du etwa nervös?" Jenny nickt neben mir. „Oh, und wie. Ich freue mich allerdings viel mehr auf die Schifffahrt!" Ich sehe sie an, Jenny erwidert meinen Blick. Doch dann beginn ich zu lächeln. Ich wette der Flug war nichts im Gegensatz zu der Schifffahrt. Sie wird drei Tage dauern. Und es wird von Al-Aqabah, das in Jordanien liegt über den indischen Ozean nach Indien, um genau zu sein Mumbai, gehen. Nun ja fahren. Denn wir gehen bestimmt nicht über Wasser. Fragt ihr euch warum ich mich nicht einfach von England nach Indien gebeamt hab? Gute Frage. Aber das kann ich leider nicht. Wie soll ich sagen, die Kilometeranzahl ist beschränkt. Ich wollte nicht im nirgendwo landen. Klar klingt das Ganze vielleicht etwas witzig oder schwachsinnig. Aber ich mache nicht die Regeln.


Die Passagiere des Fliegers, dessen Flug (mal neben bei) mehr als einen ganzen Tag gedauert hat - immerhin ist Jordanien nicht gleich um die Ecke - steigen nun nacheinander aus. Anderes wird ihnen gar nicht übrig bleiben, was? Mir auch nicht. Aber ich hab nichts dagegen. Ich warte gerne, ich lasse immer vielen den Vortritt. Jenny jedoch hat die erste Möglichkeit ergriffen und ist aus dem Flieger verschwunden. Wäre sie drinnen geblieben hätte sie mehr Möglichkeiten gehabt Abhishek anzusehen. Aber was soll es? Ich versuche nicht zu sehr auf ihn zu achten, wobei ich immer wieder seine Blicke auf mir spüre. Relativ zum Schluss schaffe auch ich es endlich aus dem Flugzeug zu gelangen. Ich bin froh raus zu kommen. Zwar nehme ich wahr, dass es warm ist. Aber das stört mich nicht. Nicht im Geringsten. Viele behaupten, dass es in Indien noch schlimmer wird. Ich gehe an den Leuten vorbei, die mir den Weg versperren um den Flugplatz zu verlassen. Ich betrete die Halle und finde sie im Gegensatz zu der von Washington recht klein. Aber ich störe mich daran nicht, sondern marschiere direkt zu dem Laufband zu, wo ich meine Koffer und meine Tasche packen kann und die Halle verlassen kann. Und ich schaffe es auch zu finden was ich gesucht hab und dann hier raus zu kommen. Keine Ahnung wie ich jetzt erst mal das Hotel finden soll, aber zu spät wollte ich nicht da sein.


Ich verlasse gerade den Flughafen, da folgt mir auch schon Jenny. Ich hab fast gedacht, dass sie nicht lange auf sich warten lässt. „Da bist du ja. Wo warst du denn?"

„Ich war, als du den Flieger verlassen hast, noch eine ganze Weile drin. Aber dann hab ich meine Sachen gesucht und bin nun hier."

„Hast du den tollen Typen noch mal gesehen?"

„Definiere 'noch mal gesehen'!" Meine Antwort, auf ihre Frage, konnte ich weiß Gott nicht besser zum Besten geben. Weil, ich hab ihn ja noch mal gesehen, mehr als einmal und mit ihm gesprochen hab ich ja schließlich auch schon. Da bin ich ihr wohl doch etwas voraus. Also. Dann warte ich mal auf ihre Antwort. „Nachdem du den Flieger verlassen hast!"

„Da hab ich ihn nicht gesehen, nein!"

„Ich auch nicht. Ich bin gespannt ob er hier bleibt oder wie wir mit dem Schiff nach Indien will..."

„Keine Ahnung."

„Ich auch nicht. Sieht er deiner Meinung nach, nach einem Inder aus, oder nach einem Araber?"

„Ich denke eher wie ein Inder!"

„Fließt in deine Meinung dein Wissen, dank deiner Gabe ein oder ist es eine reine Vermutung?"

„Es fließt das Wissen meiner Gabe mit ein!"

„Gut, dann ist er definitiv Inder!", erwidert Jenny. „Er ist Inder!", bestätige ich dann, um das Ganze zu beenden. „Jap, er ist Inder..." Nun kichert Jenny. Und ich weiß nicht warum sie ihren letzten Satz noch extra sagen musste. Aber fragen tue ich sie besser nicht.