Es ist erst 4 Uhr morgens. Keine schöne Zeit zum aufstehen. Eine Zeit um weiter zu schlafen. Und während Karan Kapoor noch friedlich und seelenruhig - mit einem Lächeln im Gesicht - am schlummern
ist wacht Mansi auf. Ohne Wecker. Sie ist ein Mensch der daran gewöhnt ist um diese Uhrzeit wach zu sein. Um die Uhrzeit kann sie allen möglichen Problemen im Haus aus dem Weg gehen. Sie macht
sich frisch, zieht sich um und geht dann aus ihrem kleinem Zimmer - in das gerade ihr Bett, ein kleiner Tisch, ein Stuhl und ein Schrank rein passt. Sie geht in die Küche bereitet das Frühstück
vor, sieht dabei hin und wieder auf die Uhr, um ja nicht zu spät zu kommen, wenn gegen 6 ihre Schicht anfängt. Was heißt hier Schicht? Sie arbeiten den ganzen Tag allein, da hat sie eine
durchgehende Arbeit. 12 Stunden steht sie auf alle Fälle am Obststand. Mumbai ist so
groß, hat so viele Obststände, da kann sie nach 12 Stunden doch auch wieder gehen, oder?
In Gedanken versunken und mehr an die Arbeit, die vor ihr steht, als an die Arbeit die sie gerade macht denkend wird sie nach einer guten Stunde mit dem Frühstück fertig. Sie deckt den Tisch,
wobei ihr ein Zettel auf dem Tisch auffällt. Sie nimmt ihn und beginnt zu lesen: 'An Mansi
Einkaufsliste…'
Mansi braucht gar nicht weiter lesen, weiß, dass ihre Mutter ihr nie ein paar nette Worte dazu schreibt. Das erwartet sie auch nicht. Sie steckt den Zettel in ihre kleine Tasche. Da ihr gelber
Salwar Kamenz keine Taschen besitzt, muss sie fast täglich eine Tasche mit nehmen.
Nach dem der Tisch gedeckt ist schnappt sie sich zwei der noch warmen Gemüsefladen und macht sich schließlich auf dem Weg zum Obstladen. Da sie für den Weg etwas weniger als eine halbe Stunde
braucht, liegt sie gut in der Zeit. Gegen kurz vor sechs kommt Mansi dann auch schließlich am Gemüsestand an. Eine ihrer liebsten Kundinnen steht bereits davor und wartet auf die junge Frau.
„Guten Morgen, Misses Rai.“
„Guten Morgen, Mansi mein Kind. Lass dir nur Zeit, ich kann noch warten.“, lächelt die ältere Dame erfreut Mansi zu sehen. „Aber hör mal, warum bist du denn immer so früh schon hier?“, fragt sie
dann weiter. Mansi lacht auf, während sie das zugeklappte Dach ihres Standes öffnet und sieht dann zur alten Dame auf. „Das ist eine gute Frage, aber sagen Sie mir doch, warum auch Sie schon so
früh auf den Beinen sind!?“, meint sie dann und tritt, nachdem sie die Holztür geöffnet hat, in das Innenleben ihres kleinen Geschäftes. Mansi lächelt immer noch. Die Dame lässt ihr Lächeln kurz
verblassen, wendet den Blick aber weiterhin hinter Mansi her. Aber Mansis Lächeln hilft ihr auch ihre Mundwinkel wieder hinauf zu heben. „Weißt du, wir alten Leute haben es nicht mehr so
mit dem langen Schlafen. Wir sind Frühaufsteher, verstehst du.“ Mansi nickt schließlich. „Ich komme morgens früher hier her, damit ich solch netten Menschen wie Ihnen begegne. Am Nachmittag sind
mir viel zu viele unnormale Menschen auf den Straßen.“ Die alte Dame lacht leise auf. „Mein Kind, wie willst du denn jemanden kennen lernen, wenn du von morgens bis abends nur hier bist?“
Mansi greift zu einer Tüte, in der sie das Obst packt, das Misses Rai jeden Morgen holen kommt. Sie reicht der alten Dame die Tüte über die Theke und sieht sie etwas ernst an, nachdem sie ihr den
Preis sagt. Schon seit einiger Zeit bekommen einige ihrer Stammkunden das Obst billiger. Aber das darf ihre Mutter nicht wissen, die würde ausrasten. „Haben Sie noch nicht davon gehört, dass die
tollsten Liebesgeschichten hier auf diesen Marktplätzen stattfinden?“, erwidert Mansi schließlich.
Die alte Frau sieht sich neugierig um, als ob sie nun eine solche Geschichte erblicken würde. Um sechs Uhr morgens. Wo die Jugend von Mumbai noch nicht mal daran denkt wach zu werden. Schließlich
sieht sie zu Mansi auf. „Weißt du was? Ich bin mir sicher, dass ein Prinz kommen wird und dich von deinem Leben hier befreien wird.“
Mansi kennt Misses Rai schon so lange, dass diese bereits weiß wie es um die Beziehung mit ihrer Mutter und wie es um ihren Vater steht. Selber ihr Vater hat Misses Rai noch bedient, wie er es
konnte. Allerdings lächelt Mansi nur. Misses Rai ist wirklich eine unglaublich tolle alte Dame. Sie muntert einen auf, obwohl man ihr keine Anzeichen gibt, dass man man solche Worte gerade
braucht.
Mansi würde nicht zu geben, dass sie sie braucht, aber sie weiß es.
Eine halbe Stunde später steht Karan auch auf. Okay, es ist ja eigentlich nur eine halbe Stunde nach sechs Uhr. Um es genau zu sagen steht er also 2 einhalb Stunden später als Mansi auf.
Allerdings auch noch sehr früh, wenn man bedenkt, dass er 28 ist. Aber das dumme ist, dass er aufstehen muss. Denn er studiert. Ja, mit 28 Jahren studiert er noch...
Das tut Esha schließlich auch in Amritsar!
...Nicht, dass er dumm ist und mindestens 3 Mal sitzen geblieben ist. Er könnte es sich schon leisten, aber es wäre sicher nicht sehr schön für seinen Vater. Aber dieser möchte von ihm, dass er
später mal seinen 'Job' übernimmt. Es ist ja gar kein Job. Es ist eher eine Familientradition, dass der erst geborene Sohn sozusagen auf den Thron steigt, eben der Nachfolger wird. Das heißt
'Lernen bis der Arzt kommt' oder eher 'Lernen bis zum umfallen' passt besser zu Karan. Denn er muss für sein späteres Leben Fächer zu studieren beginnen die er mehr als hasst. Darunter zählen
unter anderen: Mathe, Politik und Wirtschaft, aber auch Anthropologie (Lehre des Menschens). Warum? Das ist eine gute Frage? Er muss doch wenigstens etwas Ahnung haben, wie es in Mumbai zu sich
geht, wenn er bestimmen soll was die Bewohner in dieser Stadt bald zu tun und zu lassen haben. Es klingt eigenartig, aber viele dieser Regeln kann er ja jetzt schon nicht leiden. Aber das hat man
ja am gestrigen Tag schon gehört.
Noch reichlich müde rafft sich Karan schließlich doch aus dem Bett, zieht sich seine Hausschuhe an und geht schließlich durch eine weitere Tür in seinem Zimmer nach draußen. Plötzlich scheint das
Haus eine totale Wandlung zu machen. Im Gegensatz zu den weißen Wänden, den Fließen auf dem Boden, die viele Arbeit mit Fenstern von gestern im vorderen Teil des Hauses/ Reiches beginnt hier
etwas vollkommen anders. Das gesamte Gegenteil. Hier scheint das Haus total einladend, gemütlich und Familiengerecht. Es wurde mit ruhigen Farben gearbeitet (Orange, Rot und gelb). Das erste was
Karan sieht ist der Flur und der Raum der gegenüber dem seinem Zimmer folgt. Und zwar das große Wohnzimmer. Es ist kein Wohnzimmer, es ist ein kleines Haus in einem Raum. Es ist
wirklich unglaublich... atemberaubend. Für Karan allerdings ist es nichts neues. Er geht einfach gerade aus, schließt vorher hinter sich die Zimmertür und marschiert dann nach links zur großen
Küche. Diese ist wirklich nicht klein. Während im hinteren Bereich eine große Arbeitsfläche ist, sieht er gerade aus zu dem Küchentisch der etwas weiter entfernt steht - um wenigstens die
Möglichkeit zu bieten richtig in die Küche zu kommen ohne gegen einen großen Holztisch zu laufen. Seine Eltern haben ihn bereits schon gehört, wie er durch das Wohnzimmer gekommen ist. Er hat die
komische Angewohnheit im Haus über den Boden zu schlürfen, sodass unter seinen Schlappen der Holzboden zu hören ist.
„Guten Morgen, Karan.“, meinen seine Eltern fast zeitgleich. Karan sieht noch etwas müde zu ihnen auf, kommt dann an den Tisch, greift zu einem Toast und lässt sich dann auf den freien Stuhl
ihnen gegenüber nieder. „Morgen.“, meint er dann, etwas genervt. Nicht von ihnen, sondern eher von dem frühem Aufstehen. „Warum müssen die Kurse so früh anfangen? Ich bin kein Schüler, sondern
Student. Kann man nicht andere Regeln machen?“, meint er dann. Er beißt einmal in sein, bereits geschmiertes, Toast und sieht dann zu seinem Vater auf. Mit dem Finger deutet er dann auf ihn, um
ihm zu sagen, dass seine weiteren Worte an ihn gerichtet sind. „Weißt du was? Wenn ich deinen Posten übernehme, dann werde ich die Schulzeiten ändern.“
Seine Mutter und sein Vater werfen sich verwunderte Blick zu, sagen nichts, aber seine Mutter muss zu lachen beginnen. „Ich glaube weniger, dass du da etwas ausrichten kannst!“ Karan kräuselt die
Stirn. „Warum nicht?“, will er verwundert wissen. Wenn er das will, dann muss das doch gehen? Wer hat denn dann das Sagen? Die Schule, oder er? Er könnte sonst die Schule ganz abschaffen, aber
das wäre auch nicht viel besser. „Es ist nur so, dass du kaum etwas machen kannst, was bereits seit Jahrzehnten so Standard ist. Die ganzen Umstellungen.“
Karan winkt mit der Hand ab. „Ich sag euch, die Jugend wird mir danken.“
Das Frühstück der Kapoors geht reichlich ruhig weiter. Es wird geredet, gegessen. Was eben so dazu gehört am frühen Morgen. Karan allerdings ist daran gewohnt morgens erst zu Essen und sich dann
fertig zu machen. Er ist viel zu faul aufzustehen, sich fertig zu machen mit Duschen, Umziehen und all das eh er zum Frühstücken geht. Was auch schlimm ist, ist, dass wenn er sein Zimmer verlässt
er eh das Frühstück riecht. Und wenn Karan Essen riecht dann muss er sofort zur Quelle gehen. Man sieht es ihm nicht an, aber er isst wirklich gerne. Es ist fast schon absurd, aber es ist wahr.
Aber deswegen scheint seine Mutter auch den Drang zu haben, ihn zum Essen zu motivieren. Es scheint ihm ja nicht zu schaden. Jedenfalls kann er essen bis er platz - so scheint es seinem
Vater.
„Und Junge... Wie kommst du voran?“, will sein Vater wissen. Er lächelt, was sein Vater relativ oft macht, aber wohl nicht jeder zu Gesicht bekommt. Karan sieht kauend zu seinem Vater auf. Er
greift zu der Müslischale vor ihm, nimmt den Löffel und füllt sich erst mal den Teller voll. Man bedenke: Er hat gerade erst vier Toast verschlungen. Er gießt Milch darüber, zu der er blind
greift. Sein Blick gilt immer noch seinem Vater. Er ist zu beneiden, er scheint schon aus Gefühl zu wissen wie viel Milch er braucht, denn er macht die Milch zu (nachdem der Teller Randvoll damit
gefüllt ist), stellt sie zur Seite und antwortet während dessen seinem Vater. „Ähm, von was genau redest du? Wenn es um die Schule geht kann ich nur sagen, das ich froh bin, dass du nicht auf der
Schule bist.“ Karan grinst einmal unschuldig, greift zum Löffel - im Teller - und nimmt dann einen Löffel voll mit Müsli und führt ihm zum Mund. Doch er hält inne. „Aber wenn du von etwas
anderes
redest weiß ich nicht von was! Dann musst du mir helfen!“, erklärt er und steckt den Löffel in den Mund. Seine Mutter steht bereits wieder an der Küchenfläche. Sie kocht. Ja, ganz recht. Sie hat
Zeit, ist den ganzen Tag zu Hause und braucht Arbeit. Und daher beginnt sie morgens mit dem Essen, lässt sich so viel Zeit wie möglich, sodass sie am Mittag mit ihrem Mann essen kann. Das dumme
ist nur, dass Karan erst am Abend das Essen seiner Mutter zu sich nehmen kann. Darum bekommt er Geld mit, wenn er es eh nicht hat - er bekommt kein Taschengeld, aber Schulgeld was das ganze Jahr
reicht (er ist eh einer der Sorten, die sparsam damit umgehen). Das alles klingt echt eigenartig, wenn man bedenkt, dass Karan 28 ist, schon längst selber arbeiten und Geld verdienen könnte und
mehr oder weniger sein Leben schon geplant hat. Das hat er wirklich, aber das wissen seine Eltern nicht. Seine Eltern haben nicht vor ihm eine Frau zu suchen, das darf er gerne selber machen. Es
sollte allerdings eine in der selben Kaste sein - wenigstens das dürfen sie von ihm verlangen.
Gegen sieben Uhr, nachdem er mindestens eine halbe Stunde ausgiebig gefrühstückt hat und nach seinem Müsliteller mindestens noch einem weiteren hatte und drei Lassis hinter sich hat kann er sich
endlich auf machen um sich fertig zu machen. Er braucht nicht lange. Keine halbe Stunde, sein 'Schulweg' ist auch nicht weit. Wenn er sich beeilt braucht er höchstens 10 Minuten. Er verabschiedet
sich vorher noch von seinen Eltern und schon ist er weg. Allerdings muss er vorne durch, sodass er an allen Angestellten vorbei muss. Diese legen die Hände flach aneinander und wünschen ihm einen
schönen Guten Morgen, während sie leicht in die Beuge gehen. Karan ist, wie fast jeden Tag guter Dinge und begrüßte alle freundlich, eh er dann das Grundstück verlässt.
Ein Studientag wie jeder andere - nun ja eigentlich. Die meisten Mädchen streiten sich neben ihm zu sitzen, wobei er des öfteren einfach irgendwelche Jungs seiner Kurse neben sich setzt, sodass
er den Mädchen ausweichen kann. Wenn er könnte und mindestens 14 Jahre jünger wäre würde er wie ein Mädchen nur einen Namen auf seinem Collegblock schreiben. 'Mansi'! Und am besten er verziert
das Ganzen noch mit Herzen. Aber nein, Karan ist ein großer Junge und er weiß, dass er so was nie getan hat. Man kann ihm vieles zu trauen, aber das sicher nicht.
Er lässt lieber den Studientag an sich vorbei rauschen und vergehen, während er nur an sie denkt und dafür nicht im Matheunterricht zu hört - geschweige denn im Anthropologieunterricht, der eh
zum Einschlafen ist.
Gehen wir noch mal zu Mansi...
Es ist bereits Nachmittag, früher Nachmittag. Und Mansi? Mansi lächelt. Ja, das klingt etwas eigenartig und fast schon unglaubwürdig. Aber die junge Frau lächelt enorm gerne. Außer wenn sie von
ihrer Mutter hört, zu Hause ist oder sie einen gewissen Kerl begegnet, der in ihren Augen arrogant ist und nur mit Mädchen flirten. Aber an weder den einen noch den anderen denkt sie gerade. Sie
geht ihrer Arbeit nach und das mit Leidenschaft. Auch das klingt wirklich nicht wahrheitsgemäß. Ja, sie macht die Arbeit schon lange und macht ständig das selbe. Aber es macht ihr auch Spaß. Vor
allem da heute nur nette Käufer vorbei gekommen sind. Keine kleinen frechen Kinder die ihr das Obst klauen oder sie ärgern wollen. Die könnte sie sich manchmal schnappen und einfach ins Wasser
schmeißen. In welches? Hier ist zwar keines, aber wenn Mansi sauer ist, dann kann sie bis nach Bagdad laufen (freiwillig) um dort jemanden fertig zu machen - damit sie in
ihrer Heimat nicht eingebuchtet wird.
Aber nun hat sie hier Kunden um sich herum, die wirklich mehr als freundlich sind. Sie reicht gerade einer ihrer Kundinnen eine der mit Obst gefüllten Taschen als sie einen jungen Mann, ihres
Alters auf sie zu kommen sieht. Sofort beginnt sie zu lächeln, kassiert noch ab und schon widmet sie sich ganz dem gut aussehendem Mann neben der Kundin. „Hey, Mansi, meine Liebe!“, meint dieser
und lächelt sie erfreut an. „Hey, Akash! Na, musst du wieder Pause von deiner Arbeit machen?“, fragt Mansi vergnügt und wirft ihm einen Apfel über die Theke zu. „Du sagst es. Es ist grauenvoll.
Immer das selbe. Das schlimme ist, ich muss alles alleine machen. Bedienen, den Kaffee machen, die Brötchen zu bereiten. Morgens und abends Abrechnungen machen. Ich dreh eines Tages noch am
Rad!“, meint er dann, während er in seine Hosentasche greift und nach einigen
Rupienstücken sucht, die er Mansi schließlich reichen will um den Apfel zu bezahlen in den er bereits zum zweiten Mal beißt. Mansi winkt nur mit der Hand ab. „Lass stecken.“ Akash sieht ihr
dankend ins Gesicht, lächelt kurz darauf. Er lehnt sich an den Stand und blick dann über die Straße. Es ist voll, aber arg viel ist auch nicht los. Gewohnheit also. Dann sieht er wieder zu Mansi,
mustert sie etwas länger und beißt dabei erneut in den Apfel. „Du warst ja auch schon lang nicht mehr bei uns im Internet-Café!“, meint er dann. Mansi sieht zu ihm, dann zu dem Kunden der gerade
eben angekommen ist und sieht Akash entschuldigend an. Dann dreht sie sich mit einem freundlichem Lächeln dem Kunden zu. Akash weiß, dass sie ihm antworte will, aber der Kunde geht vor und
so
lange kann er auch noch warten. Nach dem der Kunde zufrieden und mit Trinkgeld gezahlt hat wendet sich Mansi an Akash.
„Sorry. Es ging auch nicht. Meinem Vater geht es seit den letzten drei Monaten schlechter, dank meiner Mutter bin ich an allem Schuld. Der Laden läuft in ihren Augen nicht gut. Aber was will sie
großartig erwarten? Es ist verdammt heiß draußen, da essen die Leute lieber Eis, als Obst das in der Sonne so schnell schlecht wird. Ja, im Inneren ist es gut aufgehoben und dank dem Dach
geschützt vor der erstickenden Sonne. Aber die gute Frau denkt sich das blaue vom Himmel.“
Akash nickt. „Ich verstehe dich. Du kommst kaum noch raus. Du hast nicht mal Freunde mit denen du etwas unternehmen kannst. Sogar deine Schule musstest du vor 8 Jahren abbrechen, davor hattest du
noch vor etwas in der Architektur zu machen. Wie heißt das nochmal?“ Mansi schüttelt, Augen verdrehend, den Kopf. „Architekturwissenschaften, Akash. So schwer ist das doch nicht!“ Akash sieht zu
Mansi auf, deutet dann mit dem Apfel in ihre Richtung, eh er diesen zu seinem Mund führt, er abbeißt und mit vollem Mund redet. „Nein für dich nicht. Du kannst so was ja auch. Du wärst voll die
Frau dafür. Ist echt wahr. Deine Gebäude und andere Gemälde sind unglaublich. Jede Kunstschule hätte dich angenommen.“ Mansi nickt nur. „Das Geld hätte in allen Ecken gefehlt, Akash. Vergiss es,
es ist besser so.“ Akash lächelt sarkastisch. „Schicksal was?“ Mansi zieht den rechten Mundwinkel zu einem halben Lächeln hoch. „Ja, Schicksal!“ War klar das er damit kommt.
Sie ist eigentlich immer die gewesen, die alles mit dem Schicksal verbunden hat. Im Grunde tut sie das noch. Aber es nimmt nach und nach ab. Was soll bei ihr noch großartig passieren? Sie weiß es
nicht und hat nicht vor sich die Zukunft auszumalen. Es wäre sinnlos - fast schon erbärmlich und lächerlich.
Akash steht noch eine ganze Weile bei Mansi, hat eigentlich auch nicht vor, eines der Themen zu unterbrechen oder einfach zu beenden. „Weißt du was, komm doch einfach mal in de nächsten Tagen
wieder rein. Ich weiß doch wie gerne du bei uns bist! Du warst sonst immer so oft bei uns. Ich vermiss dich schon!“, erklärt er ehrlich und zwinkert ihr zu, wie sie zu ihm sieht. „Du hast ja
recht. Aber wie soll ich das denn bitte machen? Ich komm hier nicht weg, ich bin bis abends hier draußen. Heute muss ich noch einkaufen und ach, es tut mir leid Akash!“, meint sie dann. Es klingt
als will sie nicht kommen. Aber ein Teil in ihr sagt auch genau das. „Komm schon, Mansi. Wenn du willst kannst du doch kommen wann es dir recht ist. Du weißt, dass wir bis acht auf haben und ich
bin fast immer da. Und wenn ich nicht arbeite dann hab ich Pause oder bin selber noch da.“
Mansi lächelt schwach, bedient den nächsten ihrer Kunden. Sie hat im Grunde wenig zu tun - auch wenn sich das gerade nicht so an hört. Akash befindet sich bereits eine Stunde an ihrem Stand und
da sind drei Käufer reichlich wenig. Schließlich sieht Mansi wieder zu Akash. „Ich würde ja auch gerne. Aber was sagen die anderen denn? Die denken doch echt, dass ich alles mache, was meine
Mutter von mir verlangt. Die können mich eh nicht leiden!“ Akash mustert Mansi prüfend. „Seit wann bitte kümmert dich die Meinung anderer!? Du kannst jedem Kontra geben Mansi, darin warst du
schon gut als wir noch zusammen zur Schule gingen.“ Mansi lacht plötzlich auf, weil sie sich noch gut an den kleinen Akash erinnern kann. Der, der sich nie gegen andere wären konnte und immer
viel zu höflich und zu nett war. Mansi musste ihm immer wieder aus seinen Zwickmühlen
helfen. Vor jedem anderem Jungen musste sie ihm retten. Er war ein lebender Waschlappen. Und so wurde er auch genannt. Und nun? Nun lässt er sich eigentlich wieder herum schubsen. Wer macht denn
im Internet-Café alles? Ja wohl er! Und da kann er ihr sagen was er will. Er lässt sich einfach zu viel zumuten. Er kennt das Wort 'Nein' nicht. Er lässt alles durchgehen, was seine Kollegen
machen. Er lässt sie früher gehen, wenn sie noch mindestens eine Stunde zu arbeiten haben. Aber ist das Mansis Problem? Nein, ganz gewiss nicht. Aber Akash ist so etwas wie ihr Freund, wenn nicht
der einzige den sie hat. Aber eben das ist ihre Macke. Sie hat ihm das auch schon gesagt. So etwas
wie Freundschaft und nett sein ist nicht ihr Ding. Nun ja, wie soll man das sagen? Mansi ist unterschiedlicher den je. Mansi ist ein ganzes lebendes Gefühlschaos. Sie kann fröhlich, nett,
höflich, lustig und gesellig sein - aber sie kann auch das ganze Gegenteil sein. Zum einen will dann keiner Freundschaft und sie will es keinem zu muten. Wenn es ein Schild geben würde auf dem
steht. 'Vorsicht Gefahr auf schwankende Gefühle' würde sie sich dieses sicher um den Hals legen und damit herum laufen müssen.
„Mansi?“ Verwirrt schüttelt Mansi mit dem Kopf, sieht zu Akash, der sie etwas verwirrt mustert. „Was ist mit dir?“
„Ich hab gerade nur an etwas gedacht.“
„An einen Jungen?“ Mansi schüttelt mit dem Kopf, verdreht dabei die Augen. „Du spinnst doch. Ich sagte ETWAS! Nicht Jemanden. Nun hau hier ab, eh ich mit meinem Obst nach dir schmeiße!“
„Oh, da ich weiß, das du das echt tust, gehe ich besser.“ Kaum seinen Satz ausgesprochen ist er auch schon weg, eh er sich doch noch einmal umdreht. „Du kommst aber, oder? Versprich es mir und
danke nochmal für den Apfel.“
„Verschwinde du Nervensäge.“ Mansi muss ungewollt zu lachen beginnen.
Und mal sehen was denn Karan macht. Besser: Wie er sich so im Unterricht macht.
Oho, zu spät! Er schlägt müde die Augen auf, seine Lehrerin betritt den Raum, nachdem er eine halbe Stunde Pause hatte. Der Nachmittagsunterricht beginnt. 4 Stunden Mathe. Nichts als Mathe. Er
würde nur schon gerne weiter schlafen wenn er daran denkt. Oder besser er läuft schreiend aus der Klasse. Aber nicht gewöhnlich, wie es sich für einen 28jährigen gehört. Nein, nein, er würde es
liebend gerne so machen, dass er die Hände in die Höhe wirft, wild damit herum wedelt und davon läuft. Wäre sicher ein amüsanter Anblick. Für die Mädchen vielleicht unattraktiv. Aber ihm egal.
Die anderen Jungs hätten was zu lachen. Und er... er würde vor Mathe flüchten können. Außer Hindi und Englisch hat er keinen gescheiten Kurs wählen können der ihm ETWAS Spaß macht. Und nicht mal
Hindi und Englisch machen Spaß. Müde streckt er sich, beachtet seine Lehrerin noch gar nicht - ihm muss gestattet sein, dass er wach wird.
„So ich hoffe, dass Sie, Mister Malhotra, endlich mit dem Strecken fertig sind, denn dann kann ich wenigstens auch die Aufmerksamkeit der Studentinnen verlangen.“ Karan sieht zur Lehrerin, dann
in der Klasse umher, lächelt seine Lehrerin entschuldigend an und sinkt dann im Stuhl hinunter.